Donnerstag, 3. Oktober 2013

Bist Du auch so ne Marusha-Vegetarierin?

Das wurde ich gestern bei meinem ersten Ironblogger-Treffen gefragt. Marusha hatte sich ja vor einiger Zeit in einem Interview mit der "Welt" (vgl. http://saschalobo.com/2013/06/17/marusha-merkel-und-das-deutsche-problem/) mal dahingehend geäußert, sie ernähre sich halb vegetarisch, halb vegan, würde aber auch ab und an mal ein Stück Bio-Huhn essen. Nun ist das von ihr etwas unglücklich formuliert, aber tatsächlich ist die Gemengelage, die sie da zu beschreiben versucht, gar nicht ganz so weit von meiner Ernährungsweise entfernt. Da ich gerade zweieinhalb Stunden in einem WLAN-fähigen Zug sitze, auf dem Weg zu einem Wochenende mit zwei meiner ersten Vegetarierinnen im direkten Umfeld, mache ich mir jetzt also mal öffentlich Gedanken zu diesem Thema.

Alleine der Umstand, dass eine dieser beiden Freundinnen inzwischen ab und an Fleisch und Wurst ist und sich zwischenzeitlich bereits als "Puddingvegetarierin" oder "Bratwurstvegetarierin" bezeichnet, während die andere sich im Prinzip vegan ermähren könnte, wenn es einen kulinarisch gleichwertigen Ersatz für all die Käsespezialitäten dieser Welt gibt, zeigt: Es gibt nicht nur einen Vegetarismus. Ebenso ist es mit überzeugten Veganern in Lederschuhen... Alles hat seine Abstufungen, die V-Wörter sind erst einmal nur ein Label zur Vereinfachung und Schubladisierung. Dann gibt es ja noch Frutarier, Pescetarier, Ovo-Lacto-Vegetarier und die berühmt-berüchtigten Veganer Stufe 5 von den Simpsons ("Ich esse nichts, was einen Schatten wirft."). Ich fühle mich keiner dieser Schubladen zugehörig, obwohl ich für alle (bis auf Stufe 5) gewisse Sympathien hege und die betreffenden Menschen zum Beispiel bei einer Menü- oder Büffet-Planung in jedem Fall berücksichtigen würde.

Ab und zu einmal bezeichne ich mich selbst als Vegetarierin, einfach, weil es vieles leichter macht. Ich muss ja nicht jedes Mal einen Blogartikel herunterbeten, wenn es darum geht, was gegessen werden soll. Vor allem geschieht das: im ländlichen Umfeld, fernab von vegetarischen und/oder Bio-Restaurants, bei Familienfeiern und auf Grillparties. Überall dort also, wo ich davon ausgehen kann, dass das eventuell enthaltene Fleisch aus der Massentierhaltung kommt und ich ein Totschlag-Argument benötige, um nicht zuzugreifen und gleichzeitig keine Diskussionen vom Zaun zu brechen. Aber wie esse ich denn nun eigentlich wirklich?

Ich bin auf dem Land aufgewachsen, es gab einen großen Garten, der Vater meiner Mutter war Vegetarier und so gab es in meinem Umfeld von Klein auf eine große Wertschätzung für Obst und Gemüse. Es gab auch regelmäßig Fleisch und Wurst, aber ich habe davon meistens viel weniger gegessen, als von den Beilagen. Die erste Vegetarierin in meinem Umfeld (mein Opa war schon lange tot) war meine Cousine. Ich litt immer ein wenig still mit, wenn meine Oma ihr vom Fleischer immer extra Gemüsesülze mitbrachte. Von ihr kamen erste Impulse, darüber nachzudenken, ob man Tiere essen sollte. (Die nächsten waren wohl Die Ärzte mit "Ich ess Blumen" sowie die beiden oben genannten Freundinnen, dann so in der Pubertät.) 

Über Jahre blieb ich eher Sympathisantin und aß mein Fleisch weiter. Doch die Zweifel wuchsen mit jedem Lebensmittelskandal und jedem Bericht über Massentierhaltung. In einem Urlaub mit einer der beiden Mädels regte ich an, um das Kochen zu vereinfachen, dass wir einfach alle zwei Wochen lang vegetarisch leben sollten. Das stellte keine große Herausforderung dar, bis wir nach den zwei Wochen bei McDonald's "fastenbrachen" und danach alle böses Bauchgrimmen hatten. Das nächste vegetarische Experiment folgte ein paar Jahre später, aus Bewunderung für einen vegetarisch lebenden Freund und um es mal für länger auszuprobieren. Nach sechs Wochen hatte ich das erste Mal Lust auf Fleisch und erklärte das Experiment für beendet. Seit diesem Mal habe ich aber dann wirklich sehr viel weniger und unregelmäßiger Fleisch gegessen, mal mehrere Tage hintereinander, mal über Wochen unbewusst gar nicht.

Zunehmend las ich über die ökologischen und ökonomischen Aspekte des Fleischkonsums und fand alles immer falscher und unsinniger. Dann las ein Teil meines Freundeskreises "Eating Animals" von Jonathan Safran Foer und hörte von heute auf morgen auf, Fleisch zu essen. Sie warnten mich davor, das Buch zu lesen, aber ich dachte mir: "Gut, jetzt hast Du eine Wunderwaffe in der Hinterhand, wenn Du es wirklich durchziehen willst." Ich kaufte das Buch und dann lag es ersteinmal eine Weile herum, bis ich mich bereit dafür fühlte, mein Leben zu ändern. Ich kann Euch sagen: Das Buch wirkt. Danach hatte ich erstmal eine ganze Weile gar keine Lust mehr auf Fleisch.

Inzwischen ist es so, dass ich komplett vegetarisch einkaufe und koche. Sind Eier und Milchprodukte dabei, dann sind diese Bio (bis auf Käse manchmal, aber seit ich die Alnatura-Käsetheke entdeckt habe, gilt das jetzt auch nur noch für Büffelmozzarella und ein paar wenige Spezialitäten, die es wirklich nur ganz selten gibt... Morbier zum Beispiel). Wenn ich woanders esse, kommt es durchaus vor, dass ich mal Fleisch oder Wurst esse. Und zwar aus diesen Gründen:


1. Es handelt sich um Wild- oder Biofleisch und wurde mit viel Mühe von Freunden oder Verwandten zubereitet

Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen das Essen von Tieren, sondern vor allem gegen die industrielle "Fleischproduktion". Ich versuche nach der Maxime zu essen: "Nichts aus dem KZ". Da ich aber zum Beispiel Kaninchenfleisch nicht mag, Wild und Fisch nur in Ausnahmefällen lecker finde und von den üblichen "Nutztier"-Fleischsorten in zunehmendem Maße enttäuscht bin und nicht finde, dass sie diesen "Bruch" Wert sind, spiele ich in solchen Fällen auch oft die Vegetarier-Karte oder koste einfach nur und gebe den Rest dann weiter.


2. Es handelt sich um Delikatessen, kulinarisch-kulturelle Errungenschaften der Menschheit, die meine Wertschätzung verdient haben

Ich konnte nicht nach Italien fahren, ohne dort Parmaschinken und Salami zu essen. Italien ist für mich immer hauptsächlich Genuss, ich bin eben ein Foodie. Weitere Beispiele waren die Gravy auf der Poutine während der Fährüberfahrt über den St.-Lorenz-Strom, die hausgemachte Wurst in einem Frühstückslokal letztes Wochenende in Toronto, die Thüringer Rostbratwurst bei Verwandten, der Känguruhburger (immerhin Wild!) oder das Steak in Australiens Rinderhauptstadt Rockhampton im Februar. Gemeinhin tritt Fall 2 hauptsächlich auf Reisen in Kraft.


3. Ich habe einfach mal Lust auf Fleisch

Das ist ein sehr seltener Fall. Passiert hauptsächlich mit Burgern, Bacon oder Steak. Ich gebe mir große Mühe, dann wenn möglich in Bioläden zu gehen. Meistens reicht mir auch ein Biss vom Essen des Mannes, bevor ich mich wieder meinem Tofu- oder Seitan-Gericht zuwende. Ein vegetarischer Chili-Cheese-Bacon-Burger oder die Currywurst im Yellow Sunshine sind für mich übrigens ein absolut adäquater Ersatz und müssen dann eben auch ab und zu herhalten, um die Lust zu überlisten.


4. Es gibt nichts Vegetarisches

Das trifft hauptsächlich bei Familienfeiern zu. Nicht bei meiner eigenen Familie, hier ist man gut gerüstet und in meiner Generationen sind die "Vegetarier" in der Überzahl. Bei der erweiterten Familie des Mannes (ländlicher Raum) kann es dann aber doch mal vorkommen, dass außer Brot und grünem Salat nix zu holen ist. Da sehe ich dann manchmal über Speckwürfel im Kartoffelsalat oder Wurstscheiben im Nudelsalat hinweg, damit ich überhaupt satt werde.

5. Gummibärchen

'nuff said.


Alles in allem ist mein Fleischkonsums extrem überschaubar. Ich bin nicht konsequent im Nicht-Essen, aber werde in meinem Umfeld ohne Weiteres als Vegetarierin aufgenommen. Das heißt auch: Ich trage einen sehr geringen Teil zu dem ganzen Fleischkonsums-Problem bei. Verbessern lässt sich meine Bilanz noch dadurch, dass ich bei Essensbildern von Selbstgekochtem gerne den Hinweis "vegetarisch"/"vegan" hinzusetze, um den "Normalfleischessern" zu zeigen, wie lecker und vielseitig eine fleischarme Mahlzeit sein kann. Zudem dokumentiere ich meine Fleisch-Ausnahmen nur selten fotografisch im Netz. Eine Mischung aus Strategie und Selbstschutz...

Ich missioniere auch ganz gerne mal, werde aber niemandem das Fleisch Essen ganz ausreden. Wie meine Mutter nicht müde wird zu betonen: Die Inuit müssen jagen und Fleisch essen, um zu überleben, weil alles andere schwer zu beschaffen, für sie kaum erschwinglich und für das raue Klima nicht ausreichend ist. Da gehe ich mit. Im Umkehrschluss meine ich aber: Wer in unseren Breiten lebt, sich eine ausgewogene vegetarische Ernährung (die viel günstiger ist als man glaubt) leisten und organisieren kann und dessen Wohl und Wehe nicht davon abhängt, regelmäßig ein Stück totes Tier auf dem Teller liegen zu haben, die oder der hat keine Ausrede, seinen Fleischkonsum nicht einzuschränken, nicht auf Biofleisch umzusteigen, oder gar ganz mit dem Fleisch essen aufzuhören.

Mir fällt das Nicht-Fleisch-essen sehr leicht, ich kaufe inzwischen fast nur noch Bio-Lebensmittel und ich koche sehr gerne und interessiere mich für mein Essen so sehr, dass ich gerne meinen Beitrag dazu leiste, ein Gegengewicht zu den Leuten zu sein, die nicht so informiert/gut situiert/kochbeflissen/mildklimalebend oder Fleisch-underwhelmed wie ich sind.

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